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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 281/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 67 d Abs. 2
StGB § 67 d Abs. 3
StPO § 463 Abs. 3 S. 4
StPO § 463 Abs. 3 S. 5
Vor der Entscheidung, ob die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung augesetzt werden kann, muss grundsätzlich nur dann ein Sachverständigengutachten eingeholt werden, wenn das Gericht eine Aussetzung erwägt oder zu erwägen Veranlassung gehabt hätte. Befindet sich der Verurteilte jedoch zehn Jahre oder länger in der Sicherungsverwahrung, ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens für die Entscheidung nach 67 d III StGB und jede daran anschließende Nachfolgeentscheidung nach § 67 d III oder § 67 d II StGB nach § 463 III 4 StPO ebenso unabdingbar wie die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 463 III 5 StPO.
Gründe:

Durch Urteil vom 11.3.1994 verhängte das Landgericht Kassel gegen den Untergebrachten wegen Freiheitsberaubung eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und ordnete darüber hinaus seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Nachdem der Verurteilte die verfahrensgegenständliche und sämtliche Freiheitsstrafen aus Vorverurteilungen verbüßt hatte, ordnete die StVK Kassel mit Beschluss vom 20.4.1998 den Vollzug der Sicherungsverwahrung an. 10 Jahre der Maßregel waren am 13.4.2008 verbüßt. Zuvor, nämlich am 10.4.2008 hatte die Strafvollstreckungskammer nach Einholung eines Sachverständigengutachtens (Prof. Dr. SV1) und Bestellung eines Pflichtverteidigers beschlossen, die angeordnete Sicherungsverwahrung nicht gem. § 67 d III StGB für erledigt zu erklären. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf der Senat mit Beschluss vom 4.7.2008.

Mit Schreiben vom 23.9.2008 beantragte der Verurteilte erneut, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären, bzw. auszusetzen mit dem Ziel, von der Unterbringung nahtlos in ein geschlossenes Wohnheim überzuwechseln. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 9.3.2009 hat die Strafvollstreckungskammer nach mündlicher Anhörung des Verurteilten die angeordnete Unterbringung nicht für erledigt erklärt. Ein Sachverständigengutachten wurde nicht eingeholt, ein Pflichtverteidiger für das neuerliche Verfahren wurde dem Verurteilten nicht bestellt. Letzteres erscheine nicht geboten, weil auf Grund der aktuellen Vollzugssituation und der Stellungnahme der Vollzugsanstalt nicht davon auszugehen sei, dass der Verurteilte nicht in der Lage sei, sich angemessen zu verteidigen und die Sachlage derzeit zumal mit Blick auf die ausführliche Begründung des Senatsbeschlusses vom 4.7.2008 nicht schwierig sei (Vfg. des Vorsitzenden vom 23.1.2009, Bl. 191 d.A.)

Die gegen die Entscheidung vom 9.3.2009 gerichtete sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und hat aus verfahrensrechtlichen Gründen einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer hat es versäumt, vor ihrer Entscheidung nach § 67d III StGB bzw. § 67d II StGB (vgl. zur für möglich gehaltenen Kombination beider Entscheidungen nach Ablauf der 10 Jahresfrist (OLG Nürnberg, NStZ-RR 2002, 208; OLG Koblenz, Beschl. v. 19.11.2007 - 1 Ws 141/07 - Juris; s. auch Müller-Metz, StV 2003, 42, 48) ein (ergänzendes) Sachverständigengutachten einzuholen.

Zwar bedarf es nach ganz herrschender, vom Senat in st. Rspr. (vgl. z.B. Beschl. v. 10.3.2008 - 3 Ws 252/08) geteilter Meinung der Einholung eines Sachverständigengutachtens dann nicht, wenn nach § 463 III 3, 454 II StPO das Gericht die Aussetzung der Unterbringung nicht in Erwägung zieht und hierzu auch nicht gehalten war (vgl. BGH, NStZ 2000, 69; OLG Nürnberg, NStZ-RR 2003, 283; OLG Hamm, StV 2004, 273; OLG Celle, NStZ-RR 1999, 179; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 463 Rn 6a mzwN auch zur abweichenden Meinung). Diese Auslegung deckt sich mit dem Wortlaut des § 454 II StPO ("wenn es erwägt, die Vollstreckung ...auszusetzen).

Hierunter fallen allerdings nur die Fälle, in denen die Sicherungsverwahrung noch keine 10 Jahre vollstreckt wird (OLG Hamm, Beschl. v. 18.11.2004 - 3 Ws 585/04 - Juris). Im vorliegenden Fall kommt hingegen die Vorschrift des § 463 III 4 StPO zur Anwendung, die bezogen auf Beschlüsse nach § 67d III StGB und daran anschließende Folgeentscheidungen - wie hier - nach § 67d II (oder § 67d III) StGB die Einholung eines Sachverständigengutachtens ausdrücklich unzweideutig und zwingend vorschreibt (OLG Hamm aaO). Die erhöhten Verfahrensgarantien dieser Vorschrift gelten für jede Nachfolgeentscheidung über die weitere Vollstreckung der Maßregel (vgl. BVerfG, Urt. v. 5.5.2004 - 2 BvR 2029/01 Rn 133 - Juris [=BVerfGE 109, 133 ff.]). Die allgemeine Verweisungsvorschrift des § 463 III 3 StPO ist in diesen Fällen nur noch für die weiteren Verfahrensvorschriften des § 454 II StPO, namentlich die Pflicht zur mündlichen Anhörung des Sachverständigen, § 454 II 3 StPO von Relevanz, nicht hingegen für die Pflicht zur Begutachtung des Verurteilten.

Hieran hat auch die Neuregelung des § 463 III StPO durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.7.2007 (BGBl 2007, 1327(1328) nichts geändert. Dieses hat § 463 III 4 StPO unverändert gelassen und § 463 III 3 StPO, soweit es die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung anbelangt, ebenfalls nicht geändert. Nach der Neuregelung sollen lediglich die Begutachtungserfordernisse, soweit sie die weitere Vollstreckung von Maßregeln nach den §§ 63 , 64 StGB betreffen, nur dann gelten, wenn die Maßregel wegen einer rechtswidrigen Tat nach § 66 III 1 StGB angeordnet worden ist (vgl. BT-Dr. 16/1110, S. 19).

Dass die Regelüberprüfungsfrist von 2 Jahren vor Entscheidung der Kammer nicht abgelaufen war, ist ebenfalls ohne Bedeutung. Da eine Sperrfrist gem. § 67 e II 2 StGB im Kammerbeschluss vom 10.4.2008 nicht angeordnet worden war, musste die Kammer auf den neuerlichen Antrag des Verurteilten schon vorzeitig, indes unter Einhaltung der Verfahrensgarantien entscheiden.

Nach alledem verstieß die Entscheidung der Kammer ohne zuvorige Bestellung eines Pflichtverteidigers zudem gegen § 463 III 5 StPO, der - wie der darin enthaltene Verweis auf S. 4 dieser Bestimmung zeigt - für sämtliche Nachfolgentscheidungen über die weitere Vollstreckung der Sicherungsverfahren gilt, wenn diese - wie hier- nach Ablauf von 10 Jahren nicht für erledigt erklärt worden ist (vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl., § 67 d Rn 26; Meyer-Goßner, § 140 Rn 33).

Die aufgezeigten Verfahrensfehler zwingen nach st. Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 12.2.2008 - 3 Ws 155/08 mwN) zur Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer.

Ende der Entscheidung

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